Ein Mann in einem Anzug lehnt lächelnd an einem Holzbalken in einem modernen Büro.
Marco Decker, Geschäftsführer von Datera Solutions GmbH. (Quelle: Datera)

Branche im Blick 2025-12-04T01:00:00Z Digitale Entlastung im Fachhandel – wie KI-Lösungen den Fachkräftemangel abfedern

Der Fachkräftemangel ist im technischen Handel längst spürbar. Besonders die Schloss- und Beschlagbranche, traditionell geprägt von hoher Sortimentsvielfalt und kleinteiligen Bestellungen, steht vor der Herausforderung, steigende Auftragsvolumina mit immer weniger qualifizierten Mitarbeitenden abzuwickeln. Viele Häuser berichten von denselben Schwierigkeiten: lange Bearbeitungszeiten, steigende Fehlerquoten und wachsende Belastung der vorhandenen Teams. Marco Decker, Geschäftsführer von Datera Solutions GmbH, greift dieses Thema in einem Gastbeitrag auf.

Ein neuralgischer Punkt ist dabei die Auftragsabwicklung. Bestellungen kommen nicht ausschließlich als strukturierte Belege oder über EDI, sondern als E-Mail mit PDF-Anhang, WhatsApp-Nachricht, eingescanntes Formular oder handschriftliche Notiz. Manche Bauleiter schicken sogar Fotos von Bauteilen direkt vom Montageort. Die Folge: Mitarbeitende müssen zunächst „übersetzen“, was gemeint ist, und die relevanten Informationen ins ERP-System übertragen. Das kostet Zeit, erfordert Fachkenntnis und bindet genau die Ressourcen, die ohnehin knapp sind.

Realität im Tagesgeschäft: heterogene Eingänge, hoher Aufwand

Im Baubeschlaghandel sind Bestellungen selten trivial. Es geht nicht um einen einzelnen Artikel, sondern häufig um komplexe Positionen mit vielen Varianten, Maßen und Zusatzteilen. Eine handschriftliche Notiz „20x Türbänder wie letzte Woche“ mag für den Kunden eindeutig sein. Für die Sachbearbeitung bedeutet sie allerdings Recherche: Welches Produkt ist gemeint? In welcher Ausführung? Zu welchem Preis? Gerade hier liegt in der Praxis häufig der Engpass. Denn nur erfahrene Mitarbeitende können die richtige Zuordnung vornehmen. Doch deren Arbeitszeit wird zunehmend von Routineaufgaben blockiert, während Beratung und Service auf der Strecke bleiben.

Jörg Wortmann, Geschäftsführer der Walter Müller GmbH in Essen, ist sehr froh, inzwischen KI als helfende Hand einsetzen zu können: „Unsere Auftragsbearbeitung läuft jetzt vollautomatisch. Das reduziert Fehler, spart Zeit und gibt uns die Chance, uns voll und ganz auf den Kundenservice zu konzentrieren.“

KI als Ergänzung, Entlastung und Effizienztreiber

Neue Technologien setzen genau dort an, wo es im Tagesgeschäft schwierig wird. Spezialisierte KI-Systeme wie „SmartOrders“ von Datera Solutions wurden entwickelt, um unstrukturierte Bestellungen automatisch zu verarbeiten. Statt Mitarbeitende mit Abtippen und Zuordnen zu beschäftigen, analysiert die KI-Lösung eingehende Nachrichten, erkennt Inhalte, gleicht sie mit vorhandenen Artikel- und Kundendaten ab und erstellt ERP-fähige Aufträge. Zum Einsatz kommen Methoden wie Texterkennung (OCR), Natural Language Processing (NLP) und Bildanalyse, die auch mit Freitexten, handschriftlichen Notizen oder Fotos umgehen können. Plausibilitätsprüfungen – etwa ob die bestellte Menge realistisch ist oder ob es sich um ein bekanntes Produkt im Kundenportfolio handelt – erfolgen ebenfalls automatisiert. Kritische oder unklare Positionen können via geführtem Tool nachbearbeitet und per Vorschlagslisten gezielt angepasst werden, ohne langwierige Suchen.

Dieter Lütteken, Geschäftsführer der Lütteken Beschläge + Eisenwaren GmbH in Winterberg, beschreibt seine Erfahrung aus der Praxis so: „Ob PDF, Mailtext oder Bild – „SmartOrders“ übernimmt alles automatisch in unser ERP-System. Das spart Zeit und vermeidet Fehler.“

Schnelle Einführung ohne Störung des Alltagsgeschäfts

Viele mittelständische Händler schrecken vor IT-Projekten zurück. Typische Befürchtungen sind zu viel Aufwand, zu hohe Kosten oder die Unterbrechung des laufenden Betriebs. Doch moderne Systeme zeigen, dass es auch anders geht.

Die Einführung dauert in der Regel zwei Tage, eine Schulung ist nicht erforderlich und auf Wunsch sind sogar vorherige Testphasen mit den eigenen realen Unternehmensdaten ohne viel Aufwand möglich. Die Lösung arbeitet im Hintergrund mit bestehenden Schnittstellen: Daten können über Standards wie EDIFACT, OpenTrans oder Formate wie DMS-Link, REST-API, CSV- oder XML-Import an nahezu jedes ERP-System übergeben werden – von Gevis über eNVenta bis hin zu individuell gewachsenen Strukturen. Mitarbeitende sehen die Ergebnisse unmittelbar in ihrer gewohnten Oberfläche und entscheiden nur noch über die Freigabe oder finale Korrekturen.

Der wirtschaftliche Hebel im Praxisbeispiel

Die Kosten-Nutzen-Rechnung fällt eindeutig aus: Während eine manuelle Belegbearbeitung im Schnitt 5 bis 10 Euro kostet, liegen die Transaktionskosten bei automatisierter Verarbeitung zwischen 0,25 und 0,80 Euro. Bei dreistelligen Belegmengen pro Tag ergibt sich ein erheblicher Spareffekt und die Investition amortisiert sich meist nach wenigen Wochen.

Ein Praxisbeispiel aus der Branche verdeutlicht den Effekt: Ein regionaler Fachhändler für Baubeschläge verarbeitet täglich rund 180 bis 200 Bestellungen über verschiedenste Kanäle. Vor der Einführung einer KI-Lösung waren vier Mitarbeitende fast ausschließlich mit Auftragserfassung beschäftigt. Seit der Umstellung läuft der Großteil der Aufträge automatisiert durch. Die Automatisierungsquote liegt schon kurz nach der Einführung der Lösung bei 85 bis 90 Prozent. Die Mitarbeitenden müssen nur noch eingreifen, wenn Artikelnummern fehlen oder Mengen nicht eindeutig sind. Die frei gewordene Kapazität nutzt das Unternehmen für intensivere Beratung, Angebotsnachverfolgung und Kundenbindung.

Typische Bedenken und Erfahrungen aus der Praxis

  • Unternehmen, die noch zögern, führen häufig ähnliche Argumente an: „Unsere Bestellungen sind zu individuell.“ In der Realität zeigt sich, dass gute KI-Systeme durchlaufende Nutzung dazulernen und mit jedem Vorgang präziser werden.
  • „Wir haben keine Ressourcen für Schulungen.“ Schulungen entfallen weitgehend, da die Mitarbeitenden in ihrer gewohnten ERP-Umgebung bleiben.
  • Wie handhaben wir den Datenschutz?“ Moderne Lösungen sind DSGVO-konform und ermöglichen so eine KI-Nutzung unter Einhaltung der bestehenden Rechtsgrundlagen.

Wichtig zu verstehen für die praktische Umsetzung: Der Einsatz von KI in der Auftragsbearbeitung ist kein Ersatz für andere Digitalprojekte, sondern deren logische Ergänzung. EDI-Anbindungen, digitale Kundenportale oder automatische Tourenplanung entfalten ihr volles Potenzial erst dann, wenn die eingehenden Aufträge strukturiert vorliegen. Besonders interessant ist die Verbindung mit Stammdatenpflege und Artikeloptimierung: Je sauberer die Datenbasis, desto präziser arbeitet die KI. Oder, wie Christian Preis, Leiter E-Business der Edgar Borrmann GmbH & Co. KG in Gießen, es ausdrückt: „Aufbauend auf eine gemeinsame Initiative mit anderen Händlern zur Veredelung von Produktstammdaten erreichen wir mit dem Tool nun den nächsten Meilenstein: Wir übergeben die Information und die KI erstellt zuverlässig den Auftrag. Ohne komplizierte Einrichtung und mit spürbarer Entlastung der eigenen IT.“

In der Praxis zeigt sich, dass selbst Unternehmen mit bislang geringer Digitalisierung profitieren, da die Systeme auf heterogene Eingangsdaten ausgelegt sind. So kann in verschiedenen Fällen eine KI-Lösung sogar der erste Schritt in Richtung digitalerer Prozesse und intelligenterer Betriebsgestaltung sein.

Fazit: Mehr Resilienz durch Automatisierung

Die Branche für Schlösser, Beschläge und Sicherheitstechnik lebt von Verlässlichkeit, Präzision und Service. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, genügend qualifizierte Kräfte für die Auftragsabwicklung zu gewinnen. KI-basierte Systeme bieten eine Antwort: Sie übernehmen sich wiederholende Aufgaben, reduzieren Fehler und schaffen Freiräume für das, was den Unterschied macht – Beratung, Kundennähe und Innovation.

Jens Böger, Geschäftsführer der Kuhlmann GmbH & Co. KG in Borken, bringt es auf den Punkt: „Wir erwarten von der KI-gestützten Auftragserfassung vor allem eine deutlich einfachere und schnellere Bearbeitung, weniger Fehler und mehr Freiraum für unsere Mitarbeiter, sich auf vertriebliche und kundenorientierte Aufgaben zu konzentrieren. Zudem ermöglicht sie uns, die Auftragserfassung künftig einfacher zu skalieren.“

Die Technologie ist vorhanden, erprobt und bezahlbar. Entscheidend ist jetzt, dass Unternehmen sich an die praktische Umsetzung wagen. Dies gelingt beispielsweise über ein Testsystem, das schnell und mit geringen Projektkosten eingerichtet werden kann. So bekommen insbesondere mittelständische Betriebe ein erstes Gefühl dafür, wie künstliche Intelligenz ihre eigenen Prozesse effizienter und wirtschaftlicher gestalten kann. Ein solches Pilotprojekt kann der erste wichtige Baustein in einer Digitalstrategie sein, die den Betrieb widerstandsfähiger gegenüber Personalengpässen und Marktdruck macht.

Diesen Beitrag finden Sie auch in der Ausgabe 4/2025 des M&T Schloss + Beschlagmarkt, die Ende November erschienen ist.

zuletzt editiert am 04. Dezember 2025